Als ich im August vom Land ins Umland von Hannover gezogen bin, war eine der größeren Neuerungen für mich, dass ich nun nicht nur mit Auto oder Fahrrad, sondern auch mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren konnte. Bisher hatte ich noch in keiner Stadt gelebt, die ein solches System gehabt hat, weshalb ich es ganz faszinierend fand, dies als normales System hier nutzen zu können. Auch die SchülerInnen in Hannover nutzen dieses System, um damit zur Schule zu fahren, weshalb ich auch schonmal einige Schüler auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn getroffen habe. In einem Gespräch mit einem Schüler aus meinem Lateinkurs meinte ich mal aus Spass, dass es ganz schön kompliziert sei, sich hier zurecht zu finden (tatsächlich muss ich zweimal umsteigen), woraufhin er nur meinte, dass es doch wesentlich leichter als Latein sei. In diesem Moment kam mir der Gedanke, ob man nicht beides irgendwie verknäpfen könnte: Das den SchülerInnen vertraute Fahren mit der Straßenbahn, womit auch immer das Finden der „besten“ Route gemeint ist, und der Lateinunterricht. Schnell kam mir die Idee, dass es bereits Übungen gibt, in welcher „Konjugations- oder Deklinationsketten“ gebildet werden müssen. Wäre es nicht praktisch, genau dieses Prinzip auf ein Straßenbahnnetz zu übertragen? Mit diesem Hintergrundgedanken machte ich mich an die Arbeit und entwarf die folgende Übung. Das Netz wurde hierbei mit dem kostenlosen Tool Metro Map Maker erstellt.
Ablauf
Diese Übung ist so aufgebaut, dass es quasi zwei Straßenbahnnetze gibt. Eine für Substantiv-City, eine für Verb-Stadt. Beide Städte haben ein Netz aus verschiedenen Linien, die einige Knotenbahnhöfe haben. Jeder Bahnhof entspricht dabei einer bestimmten Form, die gebildet werden soll. Dabei wird immer ein Startbahnhof ausgewählt, wo der Zug losfährt. Der Zug stellt hierbei die Vokabel dar, welche dekliniert bzw. konjugiert werden soll. Die Lehrkraft kann die Vokabel dabei in das auf dem Zug vorgefertigte Feld schreiben. Wie im bebilderten Beispiel wäre „puer“ hier die Vokabel, die bei Start am „Nom. Sgl.“ Bahnhof (ganz links) dementsprechend auch nicht abgeändert werden muss. Erst, wenn der Zug weiterfährt, passt sich die Vokabel der jeweils nächsten Station an. Fährt der Zug z.B. nach Osten zum „Gen. Sgl.“ Bahnhof, dann muss auch „puer“ entsprechend dekliniert werden („pueri“). Fährt er von dort weiter nach Osten, muss „pueri“ in den Gen. Pl. umgewandelt werden („puerorum“), fährt er jedoch weiter nach Süden, dann wird aus „pueri“ ein „puerum“, denn hier ist ein „Akk. Sgl.“ Bahnhof.
Ein Beispiel aus dem Unterricht: So sieht die praktische Anwendung dieser Übung aus. Der Zug selbst steht am Ausgangsbahnhof und fährt von dort die Stationen auf dem Weg zum Ziel ab.
Sinn dieses Netzes ist es jetzt, dass man den SchülerInnen einen Start- und Endbahnhof gibt. Die Aufgabe der SchülerInnen ist es hierbei, den Zug von Punkt A nach Punkt B fahren zu lassen, wobei sie die entsprechenden Formen der jeweiligen Vokabel bilden müssen. Die Besonderheit hierbei ist, dass sie sich dabei ihren Weg selbst wählen können. Es gibt keine feste Vorgabe, auf welchem Weg man zum Ziel kommen kann. Hier können die SchülerInnen je nach eigener Stärke schauen, welche Formen sie besser bilden können. Wenn sie an einer Form nicht weiterkommen, können sie selber schauen, ob es nicht noch einen anderen Weg zum Ziel gibt. Auch können so unterschiedliche Wege erstellt und verglichen werden, was die SchülerInnen zusätzlich motiviert (Habt ihr noch weitere Lösungswege gefunden?). Die Aufgabenstellung kann hierbei so aussehen, dass die Lehrkraft den SchülerInnen Start- und Zielbahnhöfe sowie die passende Vokabel vorgibt. Leistungsstarke SchülerInnen können binnendifferenziert die Aufgabe bekommen, sich nach Beendigung der von der Lehrkraft gestellten Aufgaben selbst eigene kurze Aufgaben auszudenken und sich gegenseitig zu stellen.
Neben den eigentlichen Zügen gibt es auch noch Waggons, welche an den Zug angehangen werden können. Diese haben je nach Art der Vokabel unterschiedliche Bedeutungen: Bei Substantiv-Zügen können Adjektiv-Waggons angehangen werden. Hier müssen diese dann als zusätzliche Herausforderung ebenfalls mitdekliniert werden. Fährt „felix puer“ wie im Beispiel oben wieder nach Osten zum „Gen. Sgl.“ Bahnhof, dann wird aus ihm „felicis pueri“. Fährt er jedoch in den Süden zum „Nom. Pl.“ Bahnhof, dann wird er zu „felices pueri“ etc. Bei den Verb-Zügen können diese Waggons als weitere Kriterien dienen, welche in dem normalen Straßenbahnnetz nicht gegeben sind: So kann der Modus (Ind. / Konj.) oder das Genus Verbi (Aktiv / Passiv) als Waggon angehangen werden. In Verb-Stadt besteht zudem die Besonderheit, dass nicht immer alle Bahnhöfe angefahren werden können. Fährt ein Zug mit einem „Konjunktiv“-Waggon, kann er z.B. nicht in einen „Futur“-Bahnhof einfahren, da es kein „Konjunktiv Futur“ gibt. Somit lernen die SchülerInnen hier gleich einige Besonderheiten der lateinischen Sprache kennen.
Feedback der SchülerInnen
Waren meine SchülerInnen anfangs noch etwas skeptisch, hat sich die Straßenbahn-Übung mittlerweile zu einer ritualisierten Übungsform in meinem Unterricht entwickelt. Die SchülerInnen wissen genau, wie der Ablauf funktioniert und fangen schnell an, selbstständig ihre Routen zu planen. Weiterhin fangen auch die leistungsstärkeren SchülerInnen selbstständig an, sich mit anderen zusammenzusetzen und sich gegenseitig eigene Aufgaben zu erstellen. Durch immer neue Vokabeln sowie Adjektiv- und Kriterien-Waggons erhält die Übung auch immer neue Anreize, sodass man nicht nur alte Sachen wiederholt.
Aufbau
Die beiden Straßenbahnnetze sind als Bild-Datei auf meinem Laptop gespeichert und werden einfach geöffnet und via Bildschirmübertragung auf das Smartboard projiziert. Die Züge (und ggf. die Waggons) sind nach Vorlage laminiert und ausgeschnitten. Sie werden durch einen Magneten auf der Rückseite festgehalten und können so schnell von Station zu Station verschoben werden. Die SchülerInnen brauchen selbst kein Material, da die projizierte Fläche alle notwendigen Informationen erhält. Auch bei den eigenen Aufgaben reichen die Informationen vom Smartboard.
Material
Liniennetze für die Liniennetz-Methode
Eine Antwort
Hi,
sehr coole Idee, den Schülern so die Deklinationen und Konjugationen näher zu bringen. Was ich häufig gemacht habe sind Verbketten die so ähnlich funktionieren, nur nicht so cool grafisch dargestellt sind;)
Viel Grüße!
Latinum.TOP