Wenn man an Videospiele mit Geschichte denkt, wird man kaum um die Civilization-Serie herumkommen. Bereits im Jahr 1991 erschien der erste Teil der von Sid Meier entwickelten Rundenstrategie, in welcher sich die Spieler:innen einen großen Anführer der Weltgeschichte aussuchen, um mit ihm die Menschheitsgeschichte nachzuspielen und ein Reich zu bauen, welches die Zeiten überdauern wird. Prägend für das Spiel ist dabei nicht nur der rundenbasierte Spielablauf, in welchem nach und nach Forschung betrieben, Städte gegründet oder Krieg geführt wird, sondern vor allem die Auswahl an großen Anführern und Anführerinnen. Zu Beginn einer jeden Partie wählt der Spieler eine Nation und einen dazugehörigen großen Anführer aus, mit welchem er dann spielt. So standen im allerersten Teil z.B. historische Persönlichkeiten wie Elizabeth I. für England oder Napoleon für Frankreich zur Auswahl. Interessant für meinen Geschichtsunterricht wurde das Spiel, weil z.B. auch Russland dort und in späteren Teilen der Serie ausgewählt werden kann. Und in einigen Teilen heißt der Anführer dort Stalin, was natürlich eine perfekte Brücke zu meinem aktuellen Rahmenthema in Jahrgang 12 ist. Denn dort sollen wir uns im Rahmen der russischen Revolutionen 1917 und ihrer Nachwirkungen auch mit Stalin befassen. Was würde sich also besser in Bezug auf seine Rezeption anbieten, als der Frage nachzugehen, ob eine Person wie Stalin in einer Spielereihe wie Civilization in einer Reihe mit anderen „großen Anführern der Weltgeschichte“ genannt werden sollte oder nicht.
Aufbau der Stunde
In den vorherigen Stunden haben wir uns mit Stalin und seinem Weg zum Alleinherrscher der Sowjetunion und seiner Herrschaftsweise befasst. Die Schüler:innen kennen also seinen Aufstieg zum alleinigen Machthaber, seine Methoden und seine skrupelloses Vorgehen zum Erhalt der Macht, genauso wie die hohen Opferzahlen seiner Politik, sei es jetzt aus Hunger oder politischer Verfolgung. Zu Beginn der Stunde habe ich das kurz wiederholt und dann einfach mal gesagt, dass wir nach so viel Inhalt auch mal ein wenig Entspannung bräuchten und so startete ich dann „zufällig“ eines meiner Lieblingsspiele: Civilization, genauer gesagt den vierten Teil, da dies der letzte Teil ist, welcher Stalin enthält. Im Menü erklärten dann zwei Schüler kurz, was genau das Spiel eigentlich ist, damit alle die groben Hintergründe des Spiels kannten. Dann landeten wir schnell im Auswahlmenü, wo wir unseren Anführer auswählen sollten.
Hier klickte ich dann ein wenig herum, die Schüler:innen riefen mir schon einige Namen zu (Caesar, Dschingis Khan, Süleyman) und erfreuten sich ein wenig an den comichaft-dargestellten Anführern. Irgendwann meinte ich dann, dass wir durch den aktuellen Bezug doch mal zu Russland gehen könnten, wo ich dann auch direkt auf Stalin klickte, was auch bei den Schüler:innen für ein „Klick“ sorgte. Denn einige erkannten sofort meinen Hintergrundgedanken: Sie hätten jetzt nicht damit gerechnet, dass Stalin in „so einem Spiel“ aufgetaucht wäre. Einige merkten sofort an, dass Stalin doch nicht in „so eine Reihe“ gehöre. Darauf entbrannte schnell die Diskussion, auf welche ich dann auch hinaus wollte: Zählt Stalin in dieser Reihe vom Spiel präsentierter „Großer Anführer:innen der Weltgeschichte“? Dies war dann auch die Leitfrage der Stunde, welche mit einem selbst erstellten Arbeitsblatt angegangen werden sollte.
Das Arbeitsblatt war so aufgebaut, dass mit einem von ChatGPT kurz erstellten Text die Rezeptionsgeschichte Stalins generell herausgearbeitet werden sollte. Also welche z.B. positiven und negativen Ansichten es nach seinem Tod bis in die Gegenwart gegeben hätte. Danach erfolgte der Übergriff zur generellen Debatte, inwiefern man Stalin als „großen Anführer der Weltgeschichte“ sehen könnte und ob er verdientermaßen in der Civilization-Reihe als solcher auftauche.
Die letzte Aufgabe sollte dabei als QR-Code via Microsoft Forms beantwortet werden, damit ich die Antworten am Ende für alle Sichtbar machen konnte und eine Grundlage für die gemeinsame Diskussion hatte.
Durchführung und Fazit
Die Durchführung der Stunde lief dann wie oben beschrieben ab und erfolgte bezüglich Einstieg, Problematisierung und Erarbeitung dem dort genannten Muster. Von den Schüler*innen konnte die erdachte Transferleistung erbracht werden, was denn nun das Spiel mit dem Geschichtsunterricht bzw. dem aktuellen Thema zu tun hätte. In der Sicherung konnten wir dann erstmal die unterschiedlichen Rezeptionen Stalins mit Hilfe des von ChatGPT geschriebenen und von mir etwas angepassten Darstellungstext sichern und so eben sowohl die positiven als auch die negativen Perspektiven erkennen: Während die einen Stalin als denjenigen sehen, der die Sowjetunion zur Supermacht und den USA „ebenbürtig“ gemacht hätte, wäre er für viele andere ein skrupeloser Diktator gewesen, dessen Herrschaft von Hunger, Verfolgung und Unterdrückung geprägt worden wäre.
Auf dieser Basis konnten wir dann gut die Brücke zu den Aufgaben 1 und 2 schaffen: Hier wurd bereits vor dem eigentlichen Spielbezug kontrovers diskutiert, inwiefern Stalin ein „großer Anführer der Weltgeschichte“ wäre. Gerade die Frage der Moral wurde dort oftmals aufgegriffen und inwiefern es möglich wäre, zwischen Macht an sich und Erreichen/Sichern dieser zu trennen. So konnten wir dann sinnvoll zu Aufgabe 3 überleiten, in welcher der Bezug zum Spiel folgte. Einige Antworten, die ich via Microsoft Forms gesichert hatte, möchte ich euch hier einmal zeigen:
Insgesamt haben sich sehr ausführliche und gut durchdachte Antworten gezeigt. Einigkeit herrschte vor allem darin, dass Stalin schon richtig in diesem Spiel wäre, da er fast 30 Jahre die Geschicke der Sowjetunion gelenkt und dabei u.a. im zweiten Weltkrieg behauptet hätte. Damit einher ging aber auch oft die Vorderung, dass auch seine negativen Seiten nicht vergessen und irgendwie betont werden müssten. Man müsse zwar zwischen beiden Sachen trennen können, aber trotzdem beide erwähnen. Hier wurde kritisiert, dass Stalin ohne größere Hinweise als „normaler“ Herrscher auftauche, neben vielen anderen Figuren. Gerade jüngere Spieler:innen könnten schwierig die zahlreichen Opfer seiner Herrschaft sehen, was ihn in gewisser Weise verharmlosen würde. Aber es wurden auch Querverweise gezogen, dass Stalins Rolle legitim wäre, wenn auch Leute wie Dschingis Khan oder Julius Caesar auftauchen würden, die ebenfalls „negative Seien“ gehabt hätten. Dies wurde zwar nicht weiter spezifiziert, zeigt aber, dass die Schüler:innen im Kopf hatten, dass es schwierig ist, irgendwo eine Grenze zwischen „moralisch vertretbar“ und „moralisch nicht vertretbar“ bei einem „großen Anführer der Weltgeschichte“ zu ziehen.
Insgesamt ergab sich eine spannende Debatte über die Frage, ob Stalin in einer Reihe wie Civilization auftauchen sollte. Die Schüler:innen haben den Aufgriff mit dem Spiel gut angenommen und als Grundlage der Diskussion genutzt. Da die Civilization-Reihe noch viele weitere große Persönlichkeiten der Weltgeschichte hat, bietet sich der hier gezeigte Ansatz sicherlich auch an, um damit die Rezeption anderer Persönlichkeiten zu diskutieren.